Archi Alert (Terrorgruppe)
"Die Plattenindustrie ist doch heute nur noch eine Verpackungsindustrie"

www.aggropop.de

Luckau, Juni 2003. Auf dem "Berlinova"-Festival 2003 nahm sich Archi "MC Motherfucker" Alert von der Terrorgruppe ausschöpfend Zeit für dieses Interview. Themen waren u.a. Jürgen W. Möllemann, Angela Merkel, das Album "Fundamental" sowie 30 Jahre Rockgeschichte.

Wie fandest du heute euren Auftritt bei der Berlinova?

Von uns selber aus war das glaube ich ziemlich cool. Also ich hatte ein gutes Gefühl dabei. Die Leute waren nur etwas müde, aber so ist es halt wenn man vor weitgehend Berliner Publikum spielt. Wenn die am Tag vorher feiern, sind die am nächsten einfach durch. Es ist dann sehr schwer die zu animieren, aber die sind dann letztendlich doch gut mitgegangen, also ich hatte meinen Spaß.

Wie gefällt dir denn das Festival allgemein?

Ich finde wenn man auf Festivals spielt ist es eigentlich immer super geil, selber als Besucher hätte ich keinen Bock auf ein Festival zu gehen. Also ich hätte dann auch das selbe Problem: der erste Tag wäre irgendwie wahnsinnig und die zwei Tage danach bräuchte ich Zeit um mich zu regenerieren. So 3-Tage-Festivals sind echt ein unglaublicher Schlauch.

Wir sind hier schon seit Freitag Mittag, seit dieser blöde Campingplatz geöffnet hat.

Ja, das ist hart. Ich beneide und bewundere immer wieder Festivalbesucher, die das dann wirklich von der ersten bis zur letzten Stunde durchziehen.

Ihr seid ja gerade auf eurer Jubiläumstour "10 Jahre Terrorgruppe". Erzähle doch mal ein bisschen von euren Anfängen, denn du bist ja mit Johnny Bottrop Gründungsmitglied.

Also wir kannten uns ja vorher schon aus so ner Band, die da hieß "Happy Hour" und da waren wir halt die zwei Gitarristen und er mochte dann irgendwie die Musik nicht mehr, die wir da gemacht haben. Kann ich gut verstehen. Er stieg dann aus, wir haben dann noch eine Platte gemacht, war aber auch nicht so der Bringer. Er hatte mich dann zum Partymachen abgeholt und erzählt mir dann irgendwann im Januar 93, dass er so ein Projekt vorhätte, das sollte halt Musik sein, die er selber gerne macht. Eine Mischung aus altem Orange County Hardcore, 77erPunk und auch aus der deutschen Szene wie KFC, Middle Class Fantasies oder die ganz alten Hosen und so und das halt mit sarkastisch, witzigen Texten. Irgendwo so bei den Goldenen Zitronen, aber nur, das man die Texte auch versteht. Und ich fand das Konzept großartig, weil so eine Band gab es bis dato in der deutschen Punkszene einfach nicht. Das waren alles so diese typischen Deutschpunk-Bands oder halt diese Sauf-Bands wie Kassierer oder Lokalmatadore oder eben diese Funpunk-Bands. Er meinte dann so, aber sucht noch nen Sänger, da meinte ich: "Dann nimm doch mich! Hier isser!". Er hatte sich dann aber doch ein bisschen gesträubt, denn ich hatte damals echt lange Haare und er meinte: "So kannst du nicht auf die Bühne". Dann habe ich mich halt seinem Dressing unterzogen und hab mich dann halt so angezogen und gestylt, wie er das gut fand. Wir haben dann noch zwei andere Musiker recht schnell gefunden, das waren dann Ice Tüte und Hermann von Hinten, die zwar alle beide nicht spielen konnten, das waren aber halt gute Freunde und so ging die Sache los.
Es war auch zu Anfang nie irgendwie geplant, dass diese Band irgendwann mal mehr als 1000 Platten verkaufen wird, war halt nur ein Spaßprojekt. Doch wurde dann zu einem absolutem Reißer, wir haben das gemerkt als wir ne Single rausgebracht haben, ohne Vertrieb und da hatten wir dann in einem Jahr schon 3000 Stück von verkauft und das war nur eine Vinyl-Single zu Zeiten der CD. Wir haben halt gemerkt: "Die Leute wollen das. Irgendwas muss an uns sein, das gut ist." Dann sind wir halt relativ schnell zu den Ärzten und deren Plattenlabel "Gringo Records" gekommen, wo sie halt ein paar Sachen, die sie gut fanden rausgebracht haben und die haben uns dann zu unserem ersten Album verholfen und so ging das recht schnell. Die Ärzte haben uns dann mit Wizo auch auf Tour mitgenommen und dann hinterher die Hosen. Weil die Ärzte uns mitgenommen hatten, mussten die Hosen uns auch unbedingt mitnehmen (lacht).
Dann haben wir halt irgendwann an der Blechdose rumgeschraubt, weil wir ein Live-Album machen wollten, was sich gewaschen hat und stellten wir halt fest: "Wir sind jetzt schon 9 Jahre unterwegs. Ist echt ne irre Zeit.". Hat uns überrascht, deswegen haben wir auch beschlossen dieses Jubiläum exzessiv zu feiern und das haben wir auch bis jetzt gut durchgezogen.

Wo du gerade "Blechdose" erwähnt hast, mir fehlen da einige Stücke drauf, wie "Keine Airbags für die CSU", "Der Rhein ist tot" oder "Arbeit?". Wo sind die abgeblieben? Warum sind die nicht drauf?

Wir hatten teils der Stücke schon fertige Mixe und wir hatten einfach soviel Nummern. Wir wollten kein Doppelalbum machen, wegen dem Preis und weil wir da schon schlechte Erfahrungen mit der "Nonstopaggropop" gemacht hatten. Deswegen mussten wir uns einfach für 75 Minuten entscheiden und haben uns halt für einige Stücke nicht entschieden, weil die so oft auf anderen Samplern vertreten waren und haben uns dann dazu entschlossen einen ausgewogenen Teil von unbekannten Stücken und aber auch ein paar Hits, da mussten dann halt einige Hits dran glauben. Aber aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Vielleicht gibt es ja eine "Blechdose 2", wenn wir ein gutes Konzept finden, was nicht so klingt wie die jetzige "Blechdose", dann könnte es schon eine solche Fortsetzung geben.

Also die Platte ist rundum gelungen. Ich war damals auch bei dem einen Aufnahmeort im Düsseldorfer Stahlwerk zugegen und sie ist einfach grandios mit all den schönen Kiss und Motörhead-Samples und so.

Wir haben halt überlegt: "Warum bringt ne Band ne Live-Platte raus?". Das Grundsätzliche ist, dass man versucht diesen Live-Sound zu transportieren und den wenigsten Bands gelingt das, weil es ist halt ein tierischer Aufwand, das so rüberzukriegen und man muss dann echt sehr viel Geld investieren um Live-Shows auch so festzuhalten. Das hatten wir eben nicht. Wir hatten halt diese fünf Live-Aufnahmen. Der zweite Teil des Konzeptes war halt sich über diese ganze Geschichte "Live-Platte" sowieso lustig zu machen und wer ne KISS Live-Platte kennt, der weiß was Paul Stanley für einen Müll auf der Bühne erzählt. Wir fanden das halt cool, wenn man Paul Stanley was sagen lässt und unser Publikum antwortet darauf: "Fick dich, du Arschloch!". Wir haben da halt sehr viel Zeit investiert. Wir haben, glaube ich, 100 Stunden nur an diesen Interludes gemastert. In erster Linie geht es darum, wenn man solche Platten rausbringt, die Leute müssen sie durchhören können und Spaß haben. Wenn das nicht gegeben ist, dann kannst du eine Live-Platte auch in den Arsch stecken oder man macht ne DVD, dass man wenigstens das visuelle auch dabei hat.

Von vielen meiner Lieblingsbands wie NOFX oder Social Distortion mag ich eben auch die Live-Platten am meisten.

Genau, wir haben uns halt auch hingesetzt und gesagt, welche Live-Platten sind gut und dann überlegt: "Was ist daran gut?". Und so sollte unsere Live-Platte im Querschnitt dann auch werden.

Ihr habt euch mit der Gestaltung der CD auch sehr viel Mühe gegeben. Die Erstauflage war eben in einer Blechdose mit schönem Booklet...

Ja, wir sind ja nicht doof. Die Plattenindustrie ist nichts anderes mehr als eine Verpackungsindustrie. Wir haben das ja schon von der ersten Platte an gemacht. Wir haben halt was zu sagen und wollen halt nicht, dass unsere Texte auf so einem Blatt Papier stehen, sondern das das Drumherum stimmt, deswegen damals die Comics. Es ist halt sehr wichtig, dass man auch in das ganze Artwork viel Arbeit reinsteckt. Das gehört dazu und viele Bands finde ich halt stinklangweilig, die bringen ne dufte Platte raus und das Artwork ist zum Kotzen. Die heuern dann nen teuren Starfotografen und der fotografiert sie, wie sie sonst nie im richtigen Leben aussehen würden und das ist es dann.

War ja auch das schöne am letzten Ärzte-Album, dass in einer blauen Plüschtasche daherkam und halt optisch schon hervorgestochen hat.

Ja, die Leute laden dir sonst einfach die Sachen aus dem Netz, weil es nichts wert ist. Musik ist heutzutage nur noch Nullen und Einsen, ein digitaler Track und den kannst du dir halt überall runterladen. es muss halt alles um eine Platte so stimmen, dass es auch irgendeinen Wert hat für jemanden, dass er sich damit beschäftigt.

Wie stehst du denn allgemein zu solchen Tauschbörsen wie Napster oder Kazaa?

Ich nutze es ja selber, von daher kann ich es ja gar nicht schlecht finden. Aber ich hab mir noch nie ein ganzes Album von irgendwo runtergeladen. Ich lade mir Songs runter, die mich interessieren und sogar von Bands von denen ich nur mal was gehört habe. Also ein ganzes Album zu ziehen, zu brennen und das Artwork zu kopieren ist mir einfach zu viel Arbeit. Ich glaube auch nicht, dass das irgendwer exzessiv betreibt. Leute kommen eben an die Musik ran, ohne teure Preise und können eben eine Band auschecken, was die zu bieten hat und wenn das okay ist, dann werden sie es sich eh immer kaufen. Das schadet im Grunde genommen nur der Industrie mit ihren absoluten Mainstreamsachen. Ein Madonna-Album ist heute musikalisch nichts mehr wert, da gibt's zwei Hits drauf und die lädt man sich runter. Warum soll man sich gleich ein ganzes Album kaufen? Solche Leute leiden darunter, aber ich finde es nicht schlecht, wenn die darunter leiden.

Leute wie Madonna können das glaube ich auch verkraften.

Ja, zumal solche Künstler durch ihre Präsenz uns die Möglichkeit nehmen, um an Leute ranzukommen. Man muss sich ja nur die Spielpläne von VIVA und MTV angucken, da hast du halt 10 Künstler und die werden halt zwei Wochen hoch und runter gedudelt. Der Rest von den Leuten, die auch Videos machen, guckt in die Röhre und nur weil die anderen halt zehn mal so viel Geld ausgeben für die größten Schrottvideos und jetzt hat sich halt das ganze ein bisschen umgedreht. Die Leute suchen nach Musik und gerade so im Independent und härteren Rock-Bereich. Dann stehst du halt besser da. Früher bist du auch in die Spezial-Läden gegangen und hast dir die neuesten Punk-Singles gekauft, die standen nicht bei Karstadt oder Horten und so. Das ist okay. Das gesundet alles wieder.

Ich brauche ja nur mich persönlich zu betrachten. Von Bands wie den Los Calzones wäre ich ohne solche Tauschbörsen nie angefixt worden. Viele Bands sehen ja oft nur den finanziellen Schaden darin und weniger die Möglichkeit, dass solche Tauschbörsen auch Künstler featuren.

Es ist ja so, dass eher die kleineren Bands den Nutzen daraus tragen und die großen Bands gucken in die Röhre, was ja eigentlich auch gut ist, denn diese Bands mit ihrem Management und Plattenfirmen machen sich so dick im Mainstream-Bereich, dass die kleinen Bands sowieso keine Chance haben, außer man hat viel Geld. Das ist okay. Wir sind ja gerade so in der Mitte. Wir sind keine kleine Band mehr, aber auf der anderen Seite haben wir trotzdem nicht das Geld um Videos für 100.000 Euro zu drehen und da nen dicken Max zu machen. Wollen wir auch gar nicht, denn warum soll mein Video mehr als ne ganze Platte kosten. Ich hätte zwar tausend von Ideen und wenn mir jemand Geld geben würde, würde ich es auch machen - klar. Nur ich sehe es nicht ein nur um Platten zu verkaufen das zu tun. Wenn, dann würde da so was obszönes drin vorkommen, das VIVA das nie zeigen würde. Das Problem an VIVA ist ja nicht, dass die nen bestimmten Weg gehen wollen, sondern Coca-Cola und alle ihre Werbekunden geben vor, welche Zielgruppe sie haben wollen. Also ich drehe einfach nicht ein Video und lasse mich hinterher von Coca-Cola verarschen, nur weil die Terrorgruppe nicht ihre Zielgruppe bedient.

Ich habe ja den Aufstieg von VIVA miterlebt und fand halt früher gut, dass sie den deutschen Sound gefeatured haben, doch heute kann ich damit nichts mehr anfangen. Heute kann ich mehr mit MTV anfangen als mit VIVA.

MTV ist ja doch was anderes. Es wird ja die amerikanische Kultur in die Welt getragen. Ein Großteil der amerikanischen Videos müssen da gespielt werden, der Rest ist irgendwie Zugabe. Aber es ist halt nichts anderes als das die amerikanische Industrie sagt: "Wir wollen den Markt auf der ganzen Welt haben" und dafür ist MTV da.

Ihr habt ja selber auch schon Videos gedreht.

Wir haben mittlerweile 8 oder 9 Videos gedreht. Ab und zu werden wir auch mal gespielt. Wir schicken die schon immer da hin und es gab auch Rotation, aber nie so, dass wir gesagt haben, es lohnt sich für uns ein teures Video zu drehen. Wir sind mittlerweile sogar so weit, dass wir in den Videos selber nicht mehr mitspielen wollen, weil wir das affig finden. Denn sobald wir da auftauchen, wollen die Leute entweder, dass wir schauspielern oder performen. Performen ist das Langweiligste, was es gibt und Schauspielern können wir alle nicht. Wir wollen einfach, dass jemand ne coole Idee, ne lustige Story hat. Wir selber wollen da gar nicht mehr rein.

Welche Lieblingsvideos fallen dir denn spontan ein?

Ja, eigentlich alles von Spike Jones - das ist der Größte. Der hat die letzten Videos für New Order oder Fatboy Slim gemacht. Er hat halt großartige Ideen - ist immer lustig, was dabei herauskommt.

Ich finde halt die Videos von den Foo Fighters durchweg genial.

Ja, da hat er auch ein paar gemacht, dieses "Learn To Fly" u.a..

Dave Grohl ist einfach auch großartig.

Er ist halt ein guter Schauspieler. Ich kann das nicht. Ich benehme mich absolut dämlich vor der Kamera.

Ihr wart vor kurzem in Brasilien. Welche Eindrücke gab es da?

Wir haben das eigentlich nur gemacht, weil wir ne sehr gute Presse für die brasilianische Ausgabe der "1 World 0 Future" gekriegt haben. Unser dortiger Labelchef von Nitroala Records meinte dann: "Kommt vorbei und helft mir die Platte zu verkaufen. Weil sonst geht's nicht weiter." Dann haben wir gesagt: "Gut, fahren wir hin, machen ein paar Shows und Urlaub". Und aus diesen Shows wurden dann zwölf Shows in achtzehn Tagen. Ich hatte dann mit Gordo noch einen alten Freund da, der hat so eine Show bei MTV ähnlich wie Letterman oder Harald Schmidt. Da kann man live spielen, hat auch Publikum, halt ne richtig fette Show auf MTV.

Was habt ihr gespielt?

"W" und "Videokamera". Dann haben wir noch ein fettes Festival gespielt vor 8.000 Leuten und das kam alles super an, also wir waren echt begeistert. Wir hatten immer volles Haus. Wir haben da auch einen Film gedreht, der kommt dann auf die DVD bzw. in Teilen auf die Homepage.

Wo wir gerade bei der DVD bzw. neuem Album sind. "Fundamental" heißt das neue Album, kommt am 6. Oktober raus. Erzähl doch mal ein bisschen was dazu.

Rauskommen tut es auf unserem eigenen Label Aggropop. Wir sind gerade am Mischen. 6 Songs sind schon gemischt. Wir haben über 30 Songs aufgenommen und 16 sollen dann aufs Album, also wir können aussuchen, was richtig gut ist. Es wird unser kompaktestes Album.

So ne Art "Sgt. Pepper"?

Nee, sind keine großen Experimente bei, aber unsere Ska-Songs sind so die ausgewogensten, die kommen nicht mehr so klischeemäßig daher, allgemein spielen wir die Beats nicht mehr so klischeebehaftet. Es ist sehr rund alles geworden. Ich glaube es sind sehr starke Texte diesmal. Jeder Song hat so einen eigenen ganz bestimmten Charakter bekommen, also es ist sehr abwechslungsreich geworden und geht aber durch die ganzen Stile, die wir bisher so ausprobiert haben durch. Ich bin sehr zufrieden. Wir greifen natürlich auch wieder Prominente an, Angela Merkel kommt diesmal dran. Was natürlich ein Opfer par excellence ist und man kann sich da so schön über die Frau auslassen.

Ingo Appelt hat mal gesagt, dass ihr das Leid Deutschlands ins Gesicht geschrieben steht.

Herrlich. Wir hatten auch richtig Spaß den Text zu schreiben. Wir lagen im Studio auch öfter platt auf dem Boden und konnten nicht mehr vor Lachen und der Song wird vielleicht sogar die erste Single werden.

Wie heißt der Song dann?

Der heißt "Angela" (lacht). Ich kann ja schon mal vorweg nehmen, es geht darum sich vorzustellen mit ihr Sex zu haben (lacht). Wir handeln uns dann selber auch so ein bisschen ab. Wir haben ein Lied über die "Hedonistische Heilsfront" gemacht, um den Leuten näher zu bringen, was es mit unserer Jugendsekte so auf sicht hat und es gibt ein Lied, gerade hier in Brandenburg ist das in, über diese GTI-Idioten. Das Lied heißt "GTI". Es sind aber auch zwei oder drei Lovesongs dabei, aber gute, glaube ich (lacht).

Natürlich.

Ja, ist immer so ein ganz schwieriges Metier. Man gibt sich einfach in einen Reigen von Millionen von Musikern, die nichts anderes können als Lovesongs zu spielen, dann musst du da halt irgendwie rausstechen. Das schwierigste was überhaupt geht. Man muss sehr ehrlich mit dem Thema umgehen und man muss alles vergessen, was man je über Lovesongs gelesen hat und dann anfangen zu schreiben.<

Ein schöner Lovesong, den du geschrieben hast, war "Ich und Du" auf der "Keiner hilft euch".

Das hat mir auch sehr viel Zeit gekostet. Ich hatte sieben oder acht Versionen und war mit keiner zufrieden. Man muss halt immer bedenken, es gibt Leute, die hören und fressen das und es gibt solche, die denken, dass der Typ nicht dazu steht.

Ein genialer Lovesong, den ihr auch gecovert habt, ist "Mach die Augen zu" von den Ärzten...

"Mach die Augen zu" ist großartig. Ist einfach ein Hammer-Lied. Auf der Ärzte-Tour sind mir der und "Kopfüber in die Hölle" dermaßen rausgestochen. Das waren scheinbar nie Songs, die super hip waren, aber eben Songs, die ich riesig fand und als wir dann die Idee hatten diese Split-Single mit denen zu machen, war es überhaupt keine Diskussion welche Songs wir eigentlich machen wollten.

Wie findet ihr die Versionen, die die ärzte von euren Songs "Rumhängen" und "Namen vergessen" gemacht haben?

Also "Rumhängen" ist grandioser Quatsch. Das ist sehr lustig (lacht). Die Version von "Namen vergessen" nervt ein bisschen.

Obwohl das "Ballroom Blitz"-Intro von Bela ist doch genial.

Ja, ja klar. Ist ja auch ein alter Sweet-Fan. Kann ich auch gut verstehen. Großes Songwriting. Ich stehe halt so ein bisschen mehr auf die andere Band aus der Zeit, die Bay City Rollers.

"Rock'n'Roll Loveletter"von ihnen, den habt ihr ja auch schon gecovert. Ist ein Song, den ich von euch leider noch nie gehört habe...

Es kann sein, dass wir den neu veröffentlichen, zusammen mit den Real McKenzies. Wir haben vor ne Splitsingle zu machen, wo wir nur Bay City Rollers-Lieder covern. Es passt so gut zu denen mit den Röcken und so (lacht). Die Idee ist noch im Raum.

Kommen wir gleich mal zum "Aggropop"-Sampler. Es war ja die Idee, dass Bands aus eurem Umfeld, mit denen ihr gespielt habt oder gut befreundet seid euch exklusives Songmaterial zur Verfügung stellen. Wie siehst du das Resultat?

Es war halt unglaublich was wir für Feedback bekommen haben. Wir haben halt gedacht, die kennen uns alle. Wir haben ja eigentlich nie mit einer Band Probleme. Wir hatten immer Mordsspaß wenn wir mit Leuten zusammenspielen. Das endet meist auch in einer Riesen-Party. Dann haben wir uns überlegt, wenn wir eh immer so einen Spaß haben, dann machen wir was wo Leute uns Songs zur Verfügung stellen, die sie normalerweise nie veröffentlichen wollen würden und genau das war das Grundkonzept von diesem Ding. Dann haben wir die halt gefragt und es haben fast alle mitgemacht. Die, die nicht mitgemacht haben, an die kamen wir halt nicht ran. Die haben das auch, glaube ich, nicht richtig mitgekriegt - Rancid und Green Day war so ein Thema und Offspring, obwohl wir mit denen auch immer großen Spaß hatten. Viele haben wir aber einfach auch vergessen wie All, Shocks oder Wohlstandskinder. Es war halt viel Arbeit. Bottrop hat das zusammengestellt. Ich habe ihm da ein bisschen geholfen. Hat sich auch gelohnt, wenn man hört, was dabei herausgekommen ist. Eine Woche haben wir halt nur die Songs angehört und zusammengestellt. Ist ja auch immer wichtig, wie die Songs zusammengestellt werden.

Man sollte also besser nicht mit dem auf dem Sampler-vertretenen Beatsteaks-Beitrag beginnen?

Nee, das wäre glaube ich ein bisschen langweilig geworden (lacht).

Der Song ist ja nicht so berauschend.

Na ja, kein Kommentar. Aber ich war glücklich, dass da jede Band mitgemacht hat. Jede Band vertickt den auch noch. Verkauft sich ganz gut. Die Leute haben Spaß damit. Das Booklet ist ziemlich geil geworden, was auch sehr viel Arbeit war. Wir sind froh, dass wir das gemacht haben. Wir fanden's zwar scheiße, dass Bands wie The Great Unwashed so einen Tribut-Song gemacht haben, obwohl ich ihn letztendlich geil finde. Nur das wollten wir halt gar nicht haben.

Wie kamst du denn eigentlich so zur Punk-Musik?

Das ganze hat bei mir eigentlich mit den Sharks angefangen. Das war halt Hardcore, das volle Brett und wichtig. So habe ich halt angefangen in einer der ersten deutschen Hardcore-Bands zu spielen, Inferno hießen die. Bin dann nach Berlin gegangen, hatte da ein paar Punkrock- und Rock'n'Roll Bands und dann kam halt 93 die Terrorgruppe.

Es gibt ja auch viele Bands, die den gleichen Lebenslauf, wie du ihn beschreibst haben, die vorher Glam Rock, Hard Rock oder eben Hardcore begeistert waren und dann Ende der 70er/Anfang der 80er zum Punkrock gekommen sind.

Ja, ich hab ne Freundin, die hat mal für ihr Examen eine Abhandlung über Punkrock geschrieben und hat dann halt alle Leute interviewt und der Tenor war eben, dass alle extrem stolz darauf waren einer der geilsten Jugendbewegungen überhaupt anzugehören oder da mitgemacht zu haben. Was heftigeres gab es einfach nicht und wird auch nicht wieder geben. Die Leute haben halt den Hype benutzt um ihr Leben umzukrempeln und leben heute noch völlig anarchistisch vor sich hin. Es ist auch persönlich immer noch die Musik, die mir am meisten Spaß macht. Ich bin ja auch kein Puristen-Punkrocker. Ich habe es halt gern wenn ich mich mit der Terrorgruppe auf einer großen Plattform bewege, wo ich verschiedene Stile bedienen kann. Ansonsten wird's langweilig. Ich könnte auch nicht fünf Platten wie "Musik für Arschlöcher" machen. Ich mag auch keine Bands, die irgendwie immer den selben Song spielen. Die einzigen, die mich da immer begeistert haben waren die Ramones (lacht) aber Bad Religion wird halt auch irgendwann mal langweilig.

Das sind solche Bands, wo du viele Lieder kennst, die gleich klingen, und dann beim Konzert überlegst: "Welcher Song ist das jetzt?"

Ja, genau (lacht). Das würde mir eben keinen Spaß machen. Aber generell ist Punkrock für mich immer noch das coolste und wird es auch immer bleiben, weil es auch noch so einen politisch unkorrekten Touch hat. Wenn du heute auf eine Bühne gehst und Punkrock spielst, wird keiner das für konservativ halten - komischerweise. Obwohl es seit 10 Jahren oder so der selbe Müll ist (lacht). Ich kann mir auch nicht vorstellen andere Musik zu machen.

Ich kann mir auch die Terrorgruppe nicht als Elektropopper oder so vorstellen.

Nee, ich kann ja solche elektronischen Geräte auch nicht bedienen (lacht). Ich kann halt nur Gitarre spielen und ein bisschen rumschreien.

Welche Bands hörst du denn derzeit privat gerne?

Das ist bei mir nie auf Bands fixiert, eigentlich immer nur die Songs. Da finde ich "The Seed" von den Roots sehr geil, aber so habe mich halt mal ne Woche, wo ich mir alte Clash-Platten gebe, die Ramones-Woche hatte ich gerade hinter mir, weil wir in Brasilien waren und die da nur Ramones hören. Vielleicht ziehe ich mir nächste Woche die Opel-Gang der Hosen rein und finde die total geil. Die Hives-Platte fand ich natürlich auch genial, klar. Aber neue Bands kommen bei mir derzeit nicht soviel dazu.

Ich kenne das von mir aber auch, ich habe halt auch immer so Phasen, vor kurzem habe ich gerade meine Deutschpunk-Phase abgeschlossen, wo solche Sampler wie "Soundtracks zum Untergang" mit Slime und Hass ständig liefen, dann hatte ich vor kurzem die EAV wieder entdeckt.

(lacht) Ja, das sind dann halt so Phasen. So sollte man auch Musik hören. Ich kann halt daher auch nie Leute verstehen, die sich nur auf eine Band einschießen und alles andere scheiße finden.

Das erlebe ich auch viel unter Ärzte-Fans...

Ja, das ist ja dann nur der Personenkult. Die Leute hören ja auch kaum noch auf die Musik. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass jemand Bela B besonders gut finden muss, weil das genauso ein Idiot ist, der mit heißem Wasser kocht wie ich. Da ist keiner ein Superman und ab und zu nervt auch mal Rod (lacht), weil er Scheiße erzählt. Das ist ganz normal. Herr Urlaub nervt auch des Öfteren (lacht). Aber es sind coole Leute aber die sind normal wie halt irgendwer anderes. Deswegen finde ich es halt immer doof, wenn Leute sich so engstirnig darauf einschießen. Und wer weiß vielleicht schreiben die Hosen auch mal wieder einen guten Song (lacht).

Mal sehen, wann es ihnen wieder gelingt. Obwohl auf der letzten Platte ein paar geile Stücke drauf waren.

Ja, fand ich auch. Mir geht halt auch diese Ärzte-Hosen Antipathie auf den Geist. Das finde ich doof und doof brummt bekanntlich (lacht).

Kommen wir zu meiner Lieblingsplatte von euch, der "Keiner hilft euch" - auch deine Lieblingsplatte, hast du mal in einem Interview gesagt?

Ja, da habe ich am meisten Arbeit reingesteckt. Bin deswegen auch sehr stolz darauf. Aber ansonsten wechselt das immer. Es gibt ja halt Zeiten, wo ich mir frühere Sachen anhöre und mich wundere wie großartig "Musik für Arschlöcher" doch war, obwohl ich nach den Aufnahmen gar nicht zufrieden war.

Hörst du dir eigentlich deine eigenen Platten noch an?

Ja, ansonsten läuft man Gefahr den Bezug zu seiner Musik zu verlieren. Man kann sich halt so auch in die jeweilige Songwriting-Stimmung reinversetzen.

>Wie schreibst du eigentlich deine Texte? Bist du auch einer von denen, die ständig mit Diktiergerät und Zettel und Stift rumrennen?

Das Diktiergerät benutze ich nur für Melodien. Wenn ich gute Ideen habe, dann gehe ich nach Hause und schreibe die dann auf. Ich habe da so einen dicken Ordner, wo dann alles reinkommt. Da braucht es eine Woche um den durchzuarbeiten. Dann höre ich halt die Bänder ab um die Musikpassagen durchzuarbeiten und feile dann mehr an den Songs.

Schreiben immer noch du und Johnny Bottrop die Songs oder sind Machine West und Slash Vicious mehr in das Songwriting eingebunden?

Nee, ich und Bottrop schreiben die Texte immer noch, die Musik arrangieren wir halt alle vier zusammen.

Slash Vicious ist nun seit Ende vorletzten Jahres der neue Mann am Bass. Zip Schlitzer ist gegangen. Wie kam es zu dem Wechsel?

Der wollte nicht mehr. War ihm zuviel Stress mit dem Touren und Platte machen. Er hat dann auch eine Frau kennen gelernt und andere Freunde gehabt, das sind so Psychobillys gewesen. Der hat sich halt ein bisschen verändert. War aber eine ganz normale Entscheidung. Er hatte es sehr fair angekündigt. Er wollte dann auch die "Blechdose" mitmachen und hat uns dann auch geholfen dabei.

Er ist ja auch auf dem Cover abgebildet.

Das war so sein Tribut. Das wollten wir so. Der ist sogar schon auf zwei Covern drauf. Auf der "Keiner hilft euch" war er auch schon drauf. Ist so ein Cover-Schleicher (lacht). Dafür kam dann Slash Vicious. Er war unsere erste Wahl und war auch sofort dabei.

Wie kamt ihr auf ihn?

Er war halt früher der Sänger und Bassist der "Heiligen Drei Könige" und wir waren auch schon öfters auf Tour mit denen und Steve kennt ihn halt näher, weil die auch öfters im Vorprogramm von Extrabreit gespielt haben. Er hängt auch in den selben Bars wie wir rum. Er singt super, kann prima Bass spielen und ist ein cooler Kerl.

Wir waren bei der "Keiner hilft euch" stehen geblieben. Ihr habt heute auch einen Song davon gespielt. Nämlich den Opener "Leider nur ein Traum".

Aus aktuellem Anlass. Ich hab mir so einen schönen Spruch überlegt. Ich wollte nach dem Lied sagen: "...und manchmal werden Träume wahr" (lacht). Habe ich blöderweise vergessen.

Ich hatte auch alles darauf gesetzt, dass ihr den heute spielt.

Na klar (lacht). Muss doch sein.

Was sagst du selber zu der Geschichte um Jürgen W. Möllemann?

Er ist ein Idiot gewesen. Wenn er jetzt, wie es heißt, Selbstmord begangen hat, dann ist er gar nicht mal so doof. Dann hat er Recht. Leid tut es mir definitiv nicht um ihn. Sein Lebenswerk ist ein Haufen Scheiße.

Aber ihr habt halt 98 schon die Ahnung gehabt.

Ja, man riecht den Braten. Sachen werden errochen.

Ist auch ein verdammt cooler Song.

Ja, cooler Opener. Der WDR hat damals gesagt, wir wären das linke Gegenstück zu den Böhsen Onkelz als sie die Platte gehört haben, einfach nur wegen dem Lied. Haben uns nicht gespielt. Haben sich geweigert.

Ein Stück, was mir da auch sehr gefällt ist "Heimatfront". Wer singt eigentlich die Frauenstimme?

Das war Lucy van Org alias Lucylectric, die hat auch eine Strophe dazu beigesteuert. Die haben wir eingeladen, weil mir ihre Stimme schon immer gefallen hat. Im Studio wollte sie dann gar nicht mehr aufhören zu singen. Bei "Ich lieb dich nicht" hat sie dann auch noch die Backings gesungen. Bei "6060842" hat sie auch die Backings gesungen. Die haben wir da gar nicht mehr rausgekriegt aus dem Studio. Die hatte so einen Spaß und hat die ganze Platte mit eingesungen (lacht). Hinterher war sie dann noch mit dem Typen von unserem Label zusammen. Wir haben die überhaupt nicht mehr von unserer Seite gekriegt.

Was ist eigentlich mit "Tanzen". Warum gibt's den nur auf der Vinyl-LP?

Es wäre sonst zuviel Pop auf der Platte gewesen. Da wären wir echt zu weit gegangen. Die Leute hätten uns gehasst. Der Song hat aber noch einen ganz komischen Hintergrund, weil unsere Plattenfirma fand den damals so toll und wollte uns so wie Chumbawamba in den Pophimmel schießen. Der Plattenfirmenheini war echt ein Idiot. Das war der größte Idiot, der mir je über den Weg gelaufen ist, nur so als Beispiel: er war mal Zeitsoldat. Das sagt alles. Der wollte, dass dieser Song ein Riesenhit wird. Es war schon nicht auf der CD drauf. Dann hat der Michael Peroni, irgend so ein Remixer, davon einen Remix gemacht, der war so schlecht. Das war alles so grottenscheiße, dass wir uns geweigert haben, haben gesagt: "Wir machen das nicht!". Er hat dann für drei Remixe schon über 20.000 Mark ausgegeben und war tierisch sauer und meinte, er arbeitet an unserer Platte nicht mehr. Er bewirbt sie nicht mehr und ne Woche später hat er sogar die Plattenfirma verlassen (lacht). Deswegen kam damals auch die "Keiner hilft euch" Single nicht raus. Die haben wir ja nur aufgekauft von denen, die haben die ja nie released. Deswegen kam das ganze nie raus. Aber wir machen ne "Nonstopaggropop 2" und da kommen dann wieder die ganzen B-Seiten und so drauf. Bevor jetzt Leute anfangen bei eBay Hunderte von Euro lassen, nur damit sich solche Schweinehändler dumm und duselig verdienen, machen wir lieber eine "Aggropop 2".

Schwebt euch da schon ein VÖ vor?

>Nächstes Jahr irgendwann. Die heißt dann von 97 bis 2007 (lacht).

Was liegt dann dieses Jahr noch an?

Ja, wie gesagt, noch ein paar Festivals dann das Album 6. Oktober, ab 13. Oktober beginnt die Tour. Die dauert dann bis Mitte Dezember.

Wie sieht es eigentlich aus mit der DVD?

Wir haben jetzt von der FSK gehört, dass die es wohl nicht schaffen, unsere Dokumentation, woran wir schon seit Jahren arbeiten und was auch ein richtiger Film mittlerweile ist, zu checken. Wenn wir es nicht der FSK zeigen, dann gibt's die Scheibe eben nicht unter 18. Das wollen wir nicht, deswegen werden wir wohl die Dokumentation später als Solo-DVD veröffentlichen müssen. Jetzt die, das ist so ein Goodie, da kommen alle Videos drauf und noch das Brasilien-Filmchen. Alles was wohl weniger als 23 Minuten hat geht bei der FSK schneller durch. Ist ein Scheiß mit dieser FSK. Fuck FSK!

Schönes Schlusswort. Vielen Dank Archi für das Interview.

Bitte sehr. Hat Spaß gemacht.

© Stefan Üblacker